Kontakt- und Informationsstelle

Verstärkung durch die „Wiesn-Gentlemen“

27. November 2013 - Kontakt- und Informationsstelle

Ein Abend mit dem Team „Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen“ von AMYNA, IMMA und dem Frauennotruf München (erzählt von Kristina Gottlöber, Diplom Sozialpädagogin [FH] von IMMA e.V.)

„Warum macht ihr das eigentlich nur für Frauen*?“, fragt ein junger Mann* in Lederhosen schon am ersten Wiesnwochenende. Wir stehen – wie jeden Wiesnabend – vor dem Servicezentrum, beobachten die Situation hinter dem Schottenhamelzelt und nehmen Mädchen* und Frauen* in Empfang, die auf dem größten Volksfest der Welt in Notsituationen geraten. Noch während meine Kollegin sich abmüht, dem angetrunkenen Herren unser Anliegen näher zu bringen, schwanken zwei Italiener, Arm in Arm und schwer betrunken, laut singend an uns vorbei. Ich sehe ihnen nach und denke an die vergangenen zehn Jahre, in denen ich hier auf der Wiesn Dienst am Security Point für Mädchen* und Frauen* gemacht habe.

Schon seit dem ersten Tag kommen jeden Abend Wiesnbesucherinnen mit den verschiedensten Problemlagen zu uns. Manch eine hat ihr Handy verloren und kann nun die Freunde nicht mehr erreichen. Eine andere hat den Bus mit ihrer Reisegruppe verpasst und irrt schon seit Stunden allein über die Wiesn. Doch neben diesen noch recht harmlosen Fällen, denen wir meist einen sicheren Heimweg ermöglichen können, gibt es auch intensive Krisenberatungen, zum Beispiel nach sexuellen Übergriffen, Vergewaltigungen oder anderen Gewalterfahrungen auf dem Oktoberfest.

„Es gibt also gar keine Hilfe für uns arme Männer*?“ unterbricht der junge Mann* etwas zynisch meine Gedanken. Er trägt Tracht, allerdings sieht er schon etwas ramponiert aus: Das karierte Hemd guckt halb aus der Hose, ein Wadlwärmer hängt müde auf Höhe des Turnschuhes und der Hosenträger auf der linken Seite fehlt ganz. Auch die Konstitution des Wiesnbesuchers scheint schon etwas angeschlagen – der Blick glasig, die Zunge schwer. Jetzt mischt sich seine Freundin ein: „Du brauchst sicher keine Hilfe! Dich müsste man eher mal gscheit erziehen!“ Auch sie sieht bereits etwas mitgenommen aus – kein Wunder es ist ja schon nach neun Uhr abends, und die Zelte schließen in nicht mal zwei Stunden. Wer jetzt noch feiern will, der muss sich beeilen. Die junge Frau wendet sich an uns: „Ich find das echt ätzend, dass immer wir Frauen* aufgefordert werden, uns zu schützen! Eigentlich müsste mal einer den Männern* sagen, wie sie sich ordentlich verhalten sollen! So ein Dirndl ist doch noch lang kein Freibrief!“ Recht hat sie, finde ich. Und deshalb hole ich aus meiner Jackentasche eine bedruckte Wäscheklammer – ein sogenanntes Glubberl – hervor. „Wiesn-Gentleman“ steht darauf. Der junge Mann* guckt mich fragend an.

Die Idee zum „Wiesn-Gentleman“ stammt von Condrobs e.V.. Die Kollegen und Kolleginnen, sind nämlich nicht nur an den Wochenenden nachts als Streetworker auf der Wiesn unterwegs, um junge Frauen* und Männer* über die Gefahren von Alkohol- und Drogenmissbrauch aufzuklären und in Notsituationen helfend tätig zu werden. Sie sind vor allem jeden Tag mit ihrem Condrobs-Bus auf der Wiesn präsent, um männlichen Besuchern das Verhalten eines echten Wiens-Gentlemans näher zu bringen. Unter dem Motto „Respekt ist meine Stärke“ geht es vor allem darum, die Zivilcourage zu fördern, aber auch Jungen* und Männer* zu sensibilisieren für die Grenzen des Partyspaß’. So nimmt der „Wiesn-Gentleman“ zum Beispiel Abstand, „wenn sie ‚nein’ sagt“ und er „nutzt die Situation nicht aus, auch wenn sie betrunken ist“, erklärt die Postkartenkampagne von Condrobs.


Für unsere Arbeit ist die Kampagne eine große Bereicherung, denn die Jungen* und Männer* werden hier direkt angesprochen. Sie werden darin bestärkt Zivilcourage zu zeigen, sich – wenn nötig und möglich – einzumischen und vor allem auch die Grenzen anderer Wiesnbesucher und –besucherinnen zu wahren.

Seit zehn Jahren geben wir mit den verschiedensten Materialien und Medien Mädchen* und Frauen* hilfreiche Tipps für einen sicheren Wiesnbesuch. Sätze wie „Trink nur so viel wie du vertragen kannst“ oder „Verabrede dich mit Freunden an einem Treffpunkt, damit du sicher nach hause kommst“, sind da an der Tagesordnung. Auf dem Oktoberfest können Mädchen* und Frauen* leider nicht immer unbeschwert feiern, denn bei vielen schwingt die Angst stets mit. Der Selbstschutz steht dann im Vordergrund. Umso schöner, dass wir nun einen Kooperationspartner an unserer Seite haben, der auch die männlichen Wiesnbesucher auf die Problematiken von sexualisierter Gewalt hinweist.

Als ich dem derangierten Mann* in der Lederhose neben mir das „Wiesn-Gentleman-Glubberl“ anstecke, strahlt er. „Klar bin ich ein Wiesn-Gentleman“, meint er. Und dann: „Coole Aktion!“ Seine Freundin lacht und gibt ihm einen Kuss, bevor die beiden weiterziehen und schon zwei andere Männer* auf uns zu kommen. In ihrer Mitte eine junge Frau*, die sie weinend vor einem der Zelte gefunden haben. So sehen sie aus – die wahren Wiesn-Gentlemen!

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