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20 Jahre Aktion „Sichere Wiesn für Mädchen* und Frauen*“

2. August 2023

20 Jahre Aktion
„Sichere Wiesn für Mädchen* und Frauen*“

Anfang der 2000er Jahre gab es zahlreiche sexuelle Übergriffe im Umfeld des Oktoberfests, und Frauen* fühlten sich zunehmend unsicher. Die drei Münchner Vereine AMYNA e.V., IMMA e.V. und die Beratungsstelle Frauen*notruf München riefen daraufhin die Aktion „Sichere Wiesn für Mädchen* und Frauen*“ ins Leben; mit dem Ziel, die Stadtgesellschaft für die Problematik von sexueller Gewalt auf dem Oktoberfest zu sensibilisieren, Zivilcourage zu stärken, sexuelle Übergriffe nicht mehr zu bagatellisieren, Mädchen* und Frauen* zu schützen und die Verantwortung klar bei Tätern (und Täterinnen) zu sehen.

20 Jahre Prävention und Hilfe für Betroffene

Bereits seit 20 Jahren ist die Aktion „Sichere Wiesn für Mädchen* und Frauen*“ rund um das Oktoberfest aktiv, um mit breit angelegten Öffentlichkeits- und Präventionsmaßnahmen für das Thema sexuelle Gewalt zu sensibilisieren und Wiesnbesucherinnen in Notlagen Seite zu stehen. Mädchen* und Frauen* und alle feierfreudigen Wiesnbesucher*innen erhalten durch Informationsmaterialien, Social Media, Pausenhofaktionen etc. wertvolle Tipps, was zu tun ist, damit für ALLE der Wiesnbesuch ein tolles Erlebnis wird. Die Anlaufstelle vor Ort steht allen Mädchen* und Frauen* offen und bietet Hilfe und Unterstützung nach einem sexuellen Übergriff, in akuten Krisensituationen und bei allen anderen Schwierigkeiten.

Die Aktion, die 2003 in der Münchner Stadtpolitik und auch auf dem Oktoberfest nicht nur auf Zustimmung stieß, ist heute ein fester Bestandteil des Hilfeangebots für Oktoberfestbesucher*innen und nicht mehr wegzudenken. Bis heute vereint die Aktion die drei zentralen Säulen der Prävention, Intervention und Nachsorge.

Als 2003 der Startschuss zur Aktion „Sichere Wiesn für Mädchen* und Frauen*“ fiel, war das Angebot noch in einem Wohnwagen am Rande des Behördenhofs auf dem Oktoberfest untergebracht. In diesem ersten Jahr suchten insg. 28 Wiesnbesucherinnen am Safe Space Unterstützung – heute bietet die Anlaufstelle während der Wiesn Hilfe und Beratung für 450 Mädchen* und Frauen*. Gerade an den Wochenenden ist der Bedarf besonders groß: 2022 kamen am Spitzentag 68 hilfesuchende Wiesnbesucherinnen in die Anlaufstelle.

In einem engen Wohnwagen hätten mittlerweile weder die 14 Mitarbeiterinnen, noch die 26 Klientinnen (Durchschnitt 2022: insg. 450 Beratungen an insg. 17 Wiesntagen) pro Abend Platz, denn die Aktion hat sich mittlerweile zum größten Hilfsangebot für Mädchen* und Frauen* auf deutschen Großveranstaltungen entwickelt und dient als Modellprojekt für zahlreiche andere Volksfeste und Festivals.

„Sexuelle Gewalt passiert tatsächlich hier. Auf der Wiesn.“
Anlass für die drei Trägervereine zur Gründung der „Sicheren Wiesn“ war leider ein sehr dramatischer: Im Jahr 2002 gab es auf und im Umfeld des Oktoberfestes sehr viele sexuelle Übergriffe, unter anderem im Hinterhof gegenüber des Hauses, in dem eine Mitarbeiterin von AMYNA e.V. in unmittelbarer Wiesnnähe wohnte. Vier junge Männer* überfielen eine Frau* und vergewaltigten sie, während ein fünfter Wache hielt. Diese Situation gab die Initialzündung. „Es war klar, es muss was passieren“, sagt Sibylle Härtl, die als Mitbegründerin noch heute für die Aktion tätig ist. „Ich habe damals viele Gespräche mit Anwohnerinnen geführt und musste feststellen, wie groß die Verunsicherung war. Die Frauen* hatten Angst, abends nach Hause zu kommen oder überhaupt vor die Tür zu gehen.“ Es wurde deutlich, im Kontext Oktoberfest erleben nicht nur zahlreiche Mädchen* und Frauen* sexuelle Gewalt, sondern die Gewalt wirkt auch massiv auf andere, die nicht direkt betroffen sind. „Wir wussten damals gar nicht genau, was auf uns zukommt“, berichtet Maike Bublitz von der Beratungsstelle Frauen*notruf. Sie war damals als Fachberaterin vor Ort im Einsatz, um Betroffenen zur Seite zu stehen. Niemand konnte konkret abschätzen, wie viele Wiesnbesucherinnen den Weg zum Wohnwagen der Aktion finden würden. Doch bereits am Eröffnungsabend suchte eine Frau* Hilfe, die erst kurz zuvor von einer Gruppe von Männern auf dem Oktoberfest überfallen und vergewaltigt worden war. Maike Bublitz spricht von einem echten Schockmoment: „Da wurde mir so richtig klar: sexuelle Gewalt passiert tatsächlich hier. Auf der Wiesn.“ Fünf Frauen*, die sexuelle Übergriffe erlebt hatten, kamen im ersten Jahr in die Anlaufstelle, zwei weitere, die von Partnerschaftsgewalt betroffen waren. „Wir wollten damals eine einmalige Aktion machen“, sagt Härtl. „Doch nach dem ersten Jahr war klar, niemand will mehr auf uns verzichten.“ Im Umfeld der Aktion wird oftmals vor allem die Arbeit am Safe Space wahrgenommen: die Hilfe für konkret betroffene Wiesnbesucherinnen, die Notlagen, die Krisen. Doch neben dieser Unterstützung geht es dem Team um weit mehr. „Die Aktion wirkt systemverändernd“, sagt Härtl. „Es geht in unserer Arbeit immer auch um die Frage, wie können wir Gesellschaft so verändern, dass es keine sexuelle Gewalt gegen Mädchen* und Frauen* mehr gibt.“

Zahlen & Fakten aus den letzten 20 Jahren

28 Mädchen* und Frauen* nutzen das Angebot im ersten Jahr – 2022 waren es 450 Klientinnen.

1.500 Prozent Steigerung der Fallzahlen am Safe Space verzeichnet die Aktion folglich in den vergangenen 20 Jahren.

3.068 Wiesnbesucherinnen konnte das Team in den vergangenen zwei Jahrzehnten in den unterschiedlichsten Not- und Krisensituationen beraten und begleiten.

14 Mitarbeiterinnen sind jeden Abend im Einsatz, um Hilfe suchenden Besucherinnen zur Seite zu stehen. Insg. über 60 Frauen* engagieren sich heute als Mitarbeiterinnen. Zum Vergleich: Im ersten Jahr umfasste das Team 18 Studentinnen und eine Handvoll Fachberaterinnen.

3,5 Mio Menschen erreicht die Aktion jährlich mit Prävention und Öffentlichkeitsarbeit. Im ersten Jahr wurden mit Hilfe von Großplakaten, Flyern und Pressearbeit etwa 300.000 Personen über das Angebot informiert und auf das Tabuthema sexueller Gewalt auf dem Oktoberfest aufmerksam gemacht. Heute agiert die Aktion neben Printmaterialien (Flyer und Plakate) mit zahlreichen digitalen Maßnahmen wie Instagram, Newsletter, Website, Fahrgastfernsehen der MVG, YouTube etc. Hinzu kommen große Auflagen von Give Aways. Eine breit angelegte Pressearbeit ergänzt diesen Zweig der Präventionsarbeit. Mit ihrer Arbeit hat die Aktion in den letzten 20 Jahren intensiv dazu beigetragen, die Münchner Stadtgesellschaft für die Thematik zu sensibilisieren, Mädchen* und Frauen* zu schützen und Tätern (und Täterinnen) die Solidarität zu entziehen.

28.841 Schüler*innen informierte das Pausenhofprojekt der Aktion seit 2010 an weiterführenden Schulen im Stadtgebiet. Rund 15.000 weitere Mädchen* und Jungen* konnte mit Unterstützung des Kreisjugendrings München Land an Schulen im Umland von München erreicht werden.

6 Auszeichnungen erhielt die Aktionsgruppe für ihr Engagement gegen sexuelle Gewalt und Victim Blaming sowie für den Schutz von Mädchen* und Frauen*. Bereits 2003 ehrte die Deutsche Kinderschutzstiftung Hänsel+Gretel die „Sichere Wiesn“ mit ihrem Stiftungspreis. 2006 folgte der Inge-Gabert-Preis der AWO, 2009 der Anita-Augspurg-Preis der LH München. 2014 zeichneten auch die Münchner Wiesnwirte die Aktion mit ihrem Ehrenpreis aus. Eine besondere Würdigung der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen erfolgte 2015 mit dem Ehrenamtsnachweis Bayern 2015 des Sozialministeriums. Im Jubiläumsjahr 2023 wird die Aktion erneut mit dem Stiftungspreis der Deutschen Kinderschutzstiftung Hänsel+Gretel bedacht.

15 Jahre ist es her, dass die Stadt München das Angebot der drei Trägervereine in die Regelförderung aufnahm und somit die Weiterarbeit der Aktion garantierte. Bis heute werden rund zwei Drittel der Gesamtkosten von der Stadt München getragen, weitere Unterstützer*innen sind das Landratsamt München, die Münchner Wiesn-Stiftung und zahlreiche Spender*innen.

Das Angebot vor Ort 2023

Auch heuer bietet der Safe Space Hilfe, Beratung und Unterstützung für Mädchen* und Frauen*, die (sexuelle) Gewalt erlebt haben, verunsichert sind oder sich bedroht fühlen. Zu finden ist der Safe Space im Servicezentrum auf der Theresienwiese hinter dem Schottenhamelzelt (Eingang „Erste Hilfe“). Öffnungszeiten: an allen Wiesntagen von 18.00 bis 1.00 Uhr; Fr, Sa, So sowie am 2. und 3.10. bereits ab 15.30 Uhr. Am Safe Space steht ein speziell geschultes Team aus Fachberaterinnen und ehrenamtlichen Helferinnen bereit, um Oktoberfestbesucherinnen in jeder Situation mit Beratung und Unterstützung zur Seite zu stehen. Egal, ob das Handy verloren ist, die Handtasche geklaut, die Clique verschwunden oder ob ein sexueller Übergriff, eine Nötigung oder Vergewaltigung stattgefunden hat, Mädchen* und Frauen* erhalten Hilfe in jeder Not- und Krisensituation. Das Angebot ist kostenlos und auf Wunsch anonym. Es richtet sich an alle Wiesnbesucherinnen unabhängig von Alter, Herkunft, Hautfarbe, Nationalität, Religionszugehörigkeit, sexueller Orientierung, gesundheitlicher und psychischer Situation oder Behinderung.

Eine gemeinsame Aktion von AMYNA e.V., IMMA e.V. und der Beratungsstelle Frauennotruf München. Unterstützt wird die Aktion von der Landeshauptstadt München, dem Landratsamt München, der Münchner Wiesn-Stiftung und zahlreichen weiteren Spender*innen. In Kooperation mit der Deutschen Kinderschutzstiftung Hänsel+Gretel. Schirmpat*innen sind Oberbürgermeister Dieter Reiter, Bürgermeisterin Katrin Habenschaden, Bürgermeisterin Verena Dietl und Landrat Christoph Göbel.

* Der Safe Space ist für alle Personen offen, die sich als Frauen identifizieren. Der Genderstern steht für die Vielfalt von Weiblichkeit. Non-binäre Menschen, die sich angesprochen fühlen, sind willkommen.

Pressemitteilung (PDF)

Kontakt:

Kristina Gottlöber

Kontakt- und

Informationsstelle

für Mädchenarbeit

IMMA e.V.

089 / 3090415-20

kristina.gottloeber(at)imma.de

www.sicherewiesn.de