Pressemitteilungen

„Nicht gegen Familien, sondern für Töchter“

4. Februar 2019

Wüstenrose Fachstelle Zwangsheirat / FGM zum Internationalen Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung

Am 6. Februar ist der internationale Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation – kurz FGM). Seit 2016 bietet die Münchner Fachstelle Wüstenrose vom Verein IMMA e.V. Hilfe und Unterstützung für Betroffene sowie Beratung für Fachkräfte an. Die Einrichtung plädiert für einen sensiblen Umgang und für Aufklärung.

„Seit 2015 sind viele Menschen nach Deutschland geflüchtet, in deren Herkunftsland weibliche Genitalbeschneidung stark praktiziert wird“, so Tanja Sachs, Leiterin der Wüstenrose, „deshalb nimmt auch unsere Arbeit enorm zu.“ Die Münchner Fachstelle bekommt von der Stadt München eine halbe Stelle finanziert, um Beratungen, Fortbildungen, Informationsveranstaltungen sowie verschiedene Präventionsangebote zum Thema FGM anbieten zu können. Aufgrund der großen Nachfrage reichen die Kapazitäten leider kaum mehr aus. In Deutschland sind laut aktueller Dunkelzifferstatistik von TERRE DES FEMMES schätzungsweise 64.812 Frauen beschnitten und 15.540 Mädchen gefährdet. Allein in Bayern leben rund 11.351 betroffene Frauen.

Meist kommen die Frauen zur Fachstelle, wenn sie akut Hilfe benötigen, beispielsweise weil sie schwanger sind. Die weibliche Beschneidung hat zahlreiche psychische und gesundheitliche Spätfolgen, wie Traumata , Harnwegsinfektionen, Unterleibsentzündungen oder Menstruationsschwierigkeiten. Während der Schwangerschaft sind häufig operative Eingriffe notwendig, da sonst bei der Geburt Gefahr für Mutter und Kind besteht. FGM ist ein sensibles Thema und benötigt viel Fingerspitzengefühl. Die Mitarbeiterinnen der Wüstenrose bauen zunächst eine persönliche Beziehung zu den Frauen auf, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Erst dann wird vorsichtig aufgeklärt und zu Fachärzt*innen begleitet. „Viele Klientinnen denken, dass die Beschneidung der weiblichen Genitalien normal ist“, erklärt Sachs, „Erst bei uns erfahren sie, dass es sich um einen destruktiven Eingriff und um geschlechtsspezifische Gewalt handelt.“ Nicht selten durchlaufen die Betroffenen während der Beratungs- und Behandlungszeit einen schweren Prozess, der von Trauer, Wut und Schmerzen gezeichnet ist. Die Fachstelle begleitet die Frauen und zum Teil auch deren Partner auf diesem Weg und leistet konkrete Hilfestellung. So werden zum Beispiel Dolmetscherinnen organisiert, um Missverständnisse zwischen Ärztin/Arzt und Patientin vorzubeugen. Durch die Beschäftigung der somalischen Kulturmittlerin und Aktivistin Fadumo Korn, kann zudem ein besonderer Zugang zu den Frauen geschaffen werden.

Einen großen Teil der Arbeit der Wüstenrose macht des Weiteren die Beratung von Fachkräften aus: Kinderkliniken, gynäkologische Praxen, Schulen, Sozialbürgerhäuser, Flüchtlings- und Jugendhilfeeinrichtungen, die mit den gefährdeten Familien zu tun haben, können sich an die Fachstelle wenden, wenn sie Unterstützung und Beratung zum Thema Kindswohlgefährdung oder im Umgang mit den Familien benötigen. Wie spreche ich das Thema an? Wie gehe ich damit um? Wie ist die Gefährdung einzuschätzen? ­- dies sind die dringendsten Fragen, mit denen die Fachkräfte zur Beratung kommen. „Beim Thema FGM gibt es noch große Unsicherheiten “, stellt Tanja Sachs fest. „Eine verstärkte Aufklärung der Fachkräfte wäre wünschenswert.“ IMMA e.V. bietet regelmäßig Fortbildungen zu dem Thema an, die Beratungsstelle steht bei konkreten Fällen unterstützend zur Seite. „Wenn es den Fachkräften schwer fällt, eine genaue Einschätzung der Sachlage abzugeben, analysieren wir die Situation gemeinsam“, erklärt Tanja Sachs. Das Kindeswohl müsse immer sichergestellt werden, notfalls auch mit dem Erwirken eines Ausreiseverbotes. Doch man dürfe die Familien nicht vorverurteilen. „ Wir arbeiten nicht gegen Familien, sondern für Töchter“, betont die Einrichtungsleitung. „Viele Familien wissen, dass FGM in Deutschland verboten ist und wollen hier ihre Töchter vor dieser rituellen Gewalt bewahren. Deshalb müssen wir in jedem Einzelfall vorsichtig und sensibel vorgehen und eine Vertrauensbasis aufbauen.“ Aufklärung und Information sei das A und O - sowohl bei den Betroffenen, den Familien als auch bei den Fachkräften.

In Kürze bietet sich eine Gelegenheit für alle Interessierten: Anlässlich des Internationalen Tages gegen FGM findet am 6. Januar 2019 in München ein Infoabend mit Buchvorstellung im kleinen Sitzungssaal im neuen Rathaus statt. Die Veranstaltung wird von NALA e.V. organisiert und durch folgende Partner finanziell unterstützt: München lebt Vielfalt - Stelle für interkulturelle Arbeit im Sozialreferat und Referat für Gesundheit und Umwelt der Stadt München, Migrationsbeirat München, NALA e.V. und IMMA e.V.
Dr. med. Dan mon O’Dey, Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie, Dozent und Fakultätsmitglied an der Rheinisch Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen hat eine weltweit einzigartige Methode zur Rekonstruktion der Vulva nach einer Beschneidung entwickelt und wird aus seinem Fachbuch lesen und Fragen beantworten. Zuvor gibt Dr. Eiman Tahir, niedergelassene Gynäkologin aus München, Einblick in ihren Praxisalltag mit Frauen, die von Beschneidung betroffenen sind. Petra Reiter, Ehefrau des Münchner Oberbürgermeisters Dieter Reiter, wird das Grußwort der Stadt München überbringen. Einleitende Worte kommen von Fadumo Korn (NALA e.V. und IMMA e.V.), die Moderation übernimmt Zara Pfeiffer von der Gleichstellungsstelle der Stadt München. Tanja Sachs wird die Arbeit der Wüstenrose vorstellen. Die Veranstaltung, zu der alle herzlich willkommen sind, beginnt um 19 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Pressemitteilung (PDF, 556 KB)

Plakat Buchvorstellung (PDF, 829 KB)

IMMA e.V.- Initiative für Münchner Mädchen*
Zweck des Vereins ist die Verbesserung der Situation von Mädchen* und jungen Frauen* und die Förderung der Mädchenarbeit. Übergeordnetes Ziel ist es, Mädchen* und junge Frauen* in verschiedenen Problemlagen so zu unterstützen, dass sie selbstbestimmt und gleichberechtigt ihren Platz in allen öffentlichen und privaten Lebensbereichen einnehmen können. Der Satzungszweck wird verwirklicht durch das Bereitstellen von Angeboten für ambulante und stationäre Kinder- und Jugendhilfe, durch Einzel- und Gruppenarbeit, spezifische Angebote für Frauen* und ggf. deren Kinder sowie Qualifikation und Information von Fachkräften. Weitere Infos unter https://www.imma.de

Wüstenrose Fachstelle Zwangsheirat / FGM

Die Themen der Beratungsstelle sind Zwangsverheiratung, Gewalt „im Namen der Ehre“ und FGM (seit 2016). Zum Angebot zählen Beratungen, Fortbildungen und Informationsveranstaltungen sowie verschiedene Präventionsangebote. Weitere Infos unter https://www.imma.de/einrichtungen/wuestenrose.html

Pressekontakt:

Sabine Wieninger, Geschäftsführende Vorständin,

Tel.: 089-23 88 91-41 oder sabine.wieninger(at)imma.de

Zum Thema FGM bitte direkt an

Tanja Sachs, Tel.: 4521635-12 oder tanja.sachs(at)imma.de wenden