Presseclipping

Und dann kam alles ganz anders...

28. Juni 2010

Report Missbarauch

Als die 16-jährige Lara nicht mit ihrem Freund Jan schlafen möchte, fällt dieser über sie her und vergewaltigt sie

Alles fing so romantisch an: Lara (16) lernte Jan (17), den großen Bruder einer Freundin auf einer Schulparty kennen. „Es war Liebe auf den ersten Blick!“, erzählt Lara. „Er war von Anfang an höflich, lud mich auf eine Cola ein und brachte mich später noch mit seinem Roller nach Hause!“ Lara schätze Jan vor allem wegen seiner unaufdringlichen Art: „Er war immer sehr zurückhaltend – ganz anders, als die anderen Jungs in seinem Alter!“. Bis zum ersten Kuss dauerte es einen ganzen Monat. Lara: „Jan hätte mich niemals bedrängt. Er wollte, dass wir uns mit allem ganz viel Zeit lassen. Ein richtiger Gentleman eben.“ Doch der Schein trügt…

Als Laras Eltern übers Wochenende zu Freunden nach Hamburg verreisen, lädt Lara Jan zu sich nach Hause ein. „Wir waren zu dem Zeitpunkt drei Monate zusammen. Er war so süß und hat sich immer so liebevoll verhalten. Ich wollte ihn überraschen und endlich mit ihm schlafen.“ Doch als Jan an diesem Freitagabend mit seinen Schlafsachen zu ihr kommt, beginnt Lara plötzlich zu zweifeln. „Ich weiß nicht, as mit mir los war. Aber meine innere Stimme sagte mir, dass ich doch noch nicht soweit bin!“ Als Jan Lara später im Zimmer schließlich küssen will, schreckte sie zurück. Doch anstatt Lara zu fragen. Was los ist, drückt Jan sie plötzlich fest an sich. „Was hast du denn? Ich dachte, wir wollen und jetzt ein bisschen näher kommen?!“ Noch bevor Lara antworten kann, geschieht etwas, an das sich Lara nur noch in Bruchstücken erinnern kann: „Er drückte mich gegen die Wand, riss mir meinen Rock runter und dann weiß ich nur noch, wie ich auf dem Boden liege und weine!“ Von Jan weit und breit keine Spur…

Jan hat Lara vergewaltigt. Der nette Junge, von dem sie dachte, dass sie ihn kennt, entpuppt sich als fieser Vergewaltiger… Doch anstatt die Polizei oder ihre Eltern anzurufen, stellt sich Lara – wie in Trance – erst einmal stundenlang unter die Dusche. „Ich fühlte mich schmutzig und irgendwie auch schuldig dafür, was mir passiert ist…“ erklärt Lara.

„So wie Lara verhalten sich viele Opfer von Missbrauch und Vergewaltigung“, erklärt Diplom-Psychologin Astrid Siegmann von der Beratungsstelle für Mädchen und junge Frauen – IMMA e. V. … „Grundsätzlich fällt es Mädchen, aber insbesondere auch Jungen, denen sexueller Missbrauch widerfahren ist, schwer darüber zu sprechen. Das, was passiert ist, ist gleichzeitig so schockierend und peinlich und unvorstellbar, dass es schwer ist, darüber zu reden. Sie denken, mit ihnen selbst stimmt was nicht, dass ihnen so was passiert.“

Jedes vierte Mädchen und jeder achte Junge erlebt im Laufe seiner Kindheit und Jugendzeit sexuelle Übergriffe. Die Dunkelziffer liegt weitaus höher… Warum nur wenige Missbrauch-Opfer erzählen, was ihnen passiert ist, erklärt Astrid Siegmann so: „Häufig befürchten die Opfer, dass ihnen nicht geglaubt wird oder sie haben schon mal einen Versuch unternommen, jemanden davon zu erzählen, doch niemand hat ihnen geholfen. Aus diesen Gründen tragen Betroffene ihre Missbrauchsgeschichten oft jahrelang mit sich herum.“

Auch Lara trug ihre Geschichte jahrelang mit sich herum – bis die nächtlichen Albträume unerträglich wurden und sie sich aufgrund massiver Schlafstörungen und Panikattacken dann doch endlich an die Beratungsstelle für Opfer von sexuellem Missbrauch wendete. Eine gute Entscheidung, wie Astrid Siegmann findet: „Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass es gut ist, sich an eine Beratungsstelle zu wenden, um über das Geschehene zu sprechen und sich Hilfe zu holen, um aus der Missbrauchssituation heraus zu kommen und geschützt zu werden.“ Die meisten Betroffenen leiden an den Folgen, die der Missbrauch verursacht hat, wie etwa sich in der Schule nicht konzentrieren können, schlecht schlafen können, Albträume haben oder sich im Freundeskreis oder in der Familie fremd fühlen. Manche verletzen sich selbst oder entwickeln Essstörungen. Durch die richtige Beratung kriegen sie Unterstützung dabei, sich wieder besser in ihrem Alltag zurecht zu finden und sich endlich wieder besser zu fühlen.

Lara geht es dank der Beratungsstelle wieder richtig gut, obwohl sie innerlich immer noch Kämpfe mit sich ausfechtet: „Manchmal bereue ich, dass ich Jan nicht gleich bei der Polizei angezeigt hab. Aber ich war einfach zu schwach dazu!“ Heute ist sie stärker und würde ganz anders mit so einer Situation umgehen: „So etwas passiert mir nie wieder! Typen wie Jan könnten erst gar nicht bei mir landen. Und wenn ich beim nächsten Mal merke, dass etwas gegen meinen Willen passiert, werde ich mich wehren!“ Lara wünscht sich nun nur noch, dass ihre Geschichte anderen Missbrauch-Opfern Mut macht und Ihnen die ihnen die Kraft gibt, sich an jemanden zu wenden.

Dipl. Sozialpädagogin Kerstin Leupold und Diplom-Psychologin Astrid Siegmann von der Münchner Beratungsstelle IMMA e. V. zum Thema sexueller Missbrauch…

Wo fängt Missbrauch an?
Sexueller Missbrauch, Vergewaltigung und sexuelle Übergriffe sind verschiedene Formen der Überschreitung körperlichen Grenzen eines Kindes, einer Jugendlichen oder eines Erwachsenen, die mit sexuellen Handlungen einhergehen. Sexueller Missbrauch und Vergewaltigung sind Begriffe aus dem Strafgesetz und dort ganz klar definiert. Übergriffe beginnen aber viel früher, z. B. jemand berührt einen auf eine Art und Weise oder an einer Körperstelle, die man nicht will. Oder jemand schaut einen immer so komisch an oder kommt einem zu nahe, was sich unangenehm anfühlt und persönliche Grenzen verletzt. Egal ob nun sexueller Missbrauch, Vergewaltigung oder sexuelle Übergriffe heißt, es ist in jedem Fall schlimm für die Betroffenen, so etwas erleben zu müssen. Manchmal passieren Grenzverletzungen ohne dass die oder der Betroffene es verhindern konnte. Die betroffenen Mädchen und Jungen wollen in der Regel, dass die Übergriffe aufhören.

Wie sollte man sich verhalten. Wenn man das Gefühl hat, das etwas gegen den eigenen Willen verläuft?
Immer, wenn sich etwas nicht okay anfühlt, hat man das Recht „Nein“ zu sagen, sich zu wehren, wegzulaufen oder sich Hilfe zu holen, wenn es geht. Nicht immer wird das „Nein“ respektiert. Manchmal passiert etwas Schlimmes oder Doofes ohne dass die oder der Betroffene es verhindern konnte. In jedem Fall ist es gut, sich jemanden anzuvertrauen, es z. B. der Lehrerin oder dem Lehrer, der Nachbarin oder einem Familienmitglied zu sagen, vielleicht auch einer Freundin, am besten einem Erwachsenen. Gemeinsam kann man dann überlegen, was man tun kann und wie es weiter gehen kann. Es gibt Beratungsstellen speziell für diese Situation, an die man sich wenden kann und die einem weiter helfen können. Das geht auch anonym oder in Form einer Onlineberatung.

Was kann ein Mädchen tun, das von ihrem eigenen Freund sexuell missbraucht worden ist, sich aber nicht traut, die eigene Familie oder Freunde einzuweihen?
Sie kann sich in jedem Fall an eine Beratungsstelle wenden, muss dort in der Regel nicht ihren Namen sagen, wenn sie es nicht will und kann sicher sein, dass alles, was sie erzählt vertraulich behandelt wird. Gemeinsam wird dann geschaut, welche Unterstützung das Mädchen braucht und was ihr hilft, damit es ihr wieder besser geht. Sie kann sich dort auch über rechtliche Schritte informieren.

Warum leiden viele Missbrauchsopfer an Schuldgefühlen?

Häufig kennen die Opfer von sexuellem Missbrauch den Täter oder die Täterin schon vor der Tat. Es ist z. B. ein Nachbar oder ein Familienmitglied oder jemand anderes Bekanntes, den die Betroffenen zunächst gerne mögen. Wenn der Täter oder die Täterin dann langsam immer zudringlicher wird und gleichzeitig aber so nett ist, geraten die Betroffenen in ein Gefühlsdurcheinander und glauben oft, sie sind selber Schuld oder zumindest Mitschuld an dem Geschehen. Zusätzlich gibt ihnen der Täter oder die Täterin in der Regel auch die Schuld an dem, was passiert.

Warum wenden sich nur wenige an die Polizei?

Die betroffenen Mädchen und Jungen wollen in erster Linie, dass das Schlimme aufhört. Es fällt ihnen in der Regel umso schwerer zur Polizei zu gehen, je näher ihnen die Täter oder die Täterin stehen. Darum werden nur so wenige Fälle zur Anzeige gebracht. Vor einer Anzeige kann es gut sein, sich zu informieren, was nach einer Anzeige passiert und was auf einen zu kommt. Dafür gibt es bei einigen Polizeidienststellen spezielle Opferschutzbeauftragte und es gibt Mädchen- und Jungenberatungsstellen, die auch anonym Auskunft geben. Die Polizei hat nach einer Anzeige die Aufgabe, den Täter oder die Täterin zu überführen. Dafür kann es wichtig sein, Spuren der Tat nicht zu vernichten.

Wie therapiert man Missbrauchsopfer?

In der Therapie darf erstmal alles einen Platz haben, was da ist: Fragen, Gefühle oder aber auch positive Erlebnisse in der Vergangenheit oder Gegenwart. Es wird viel daran gearbeitet, wie die Mädchen sich selber innerlich beruhigen können, wie sie Bilder, die sich ihnen häufig aufdrängen, loswerden können, wie sie ihren Körper wieder auf eine angenehme Art und Weise spüren können. Ziel ist es, dem, was ihnen widerfahren ist, einen Platz in ihrer Lebensgeschichte zu geben: es war schlimm, aber es ist vorbei: ich kann mich dran erinnern, ohne dass es mich gleich aus der Bahn wirft.



Anlaufstelle für Mädchen:
Beratungsstelle für Mädchen und junge Frauen, IMMA e. V.
An der Hauptfeuerwache 4
80331 München
Tel.: 089/260 75 31
www.onlinebratung.imma.de www.imma.de
Anlaufstelle für Jungen:
Beratungsstelle kibs
Kathi-Kobus-Straße 9
80797 München
mail@kibs.de
www.kibs.de